Die Präsidentin eines Landes, eine Frau mit langen weißen Haaren, sitzt sowie ihren jüngeren Ministerinnen an einem runden Tisch. Im Hintergrund des dunklen Raumes hängt eine große Weltkarte. Der Weltuntergang naht und das Kabinett steht vor einem Dilemma. Ein anderes Land bricht ein internationales Abkommen, indem es die Aufstockung seiner Nuklearlager ankündigt. Wird die weibliche Regierung ihre pazifistische Politik nun aufgeben oder nicht?
Dieses Bild eines ausschließlich weiblichen Sicherheitsrats existierte bis heute nur auf der Bühne: in der Performance "What if Women ruled the world?" der israelischen Künstlerin Yael Bartana, die im Frühling 2018 an der Volksbühne Berlin aufgeführt wurde. Die Neugier, die das Stück im Vorfeld auslöste, war fast so groß wie die anschließende Enttäuschung bei vielen. KritikerInnen sahen im Projekt eine allzu stereotype Botschaft, nach der Frauen zwangsläufig für Frieden sorgen würden. Auch wenn ich diese Kritik nachvollziehen kann, begriff ich gleichzeitig die Performance als ein Manifest für mehr Frauen in den globalen Machtstrukturen und einen Wandel in der Weltordnung. Denn die grundsätzliche Frage, die dieses Stück stellte und die mich wiederholt beschäftigt, bleibt noch offen: Wie würde eine von Frauen regierte oder zumindest eine paritätisch regierte Welt aussehen? Diese Frage ist umso aktueller, als ein neues Konzept zunehmend populärer wird: feministische Außenpolitik.
Erfolg bei Friedenverhandlungen
2014 von der ehemaligen schwedischen Außenministerin, der Sozialdemokratin Margot Wallström initiiert, bekommt dieser neue Aspekt der Politik, deren Prinzipien in einem 2018 veröffentlichten Handbuch dargelegt wurden, immer mehr FürsprecherInnen. Denn obwohl Studien belegen, dass eine Beteiligung von Frauen die Chancen auf einen nachhaltigen Erfolg bei Friedensverhandlungen steigert, waren nur 8% der Verhandlungsführenden zwischen 1990 und 2017 weiblich. Zudem bleiben Frauen noch immer bei diplomatischen Schlüsselposten unterrepräsentiert. Es gibt insgesamt 25 % Botschafterinnen in Frankreich und nur 16 % in Deutschland.
Nach Schweden haben sich 2017 Kanada und dann 2019 Frankreich und Luxemburg der Bewegung angeschlossen. Im Januar hat Mexiko sein Konzept von feministischer Diplomatie vorgestellt und auch Spanien sowie Zypern haben dieses Jahr angekündigt, diese Prinzipien zu berücksichtigen. Auch wenn die jeweiligen Regierungen das Adjektiv „feministisch“ verwenden, unterscheiden sich die Strategien und Bemühungen je nach Land. Schweden zum Beispiel war nicht nur das erste Land, das feministische Außenpolitik propagierte, sondern auch dasjenige, das diesbezüglich eine sehr umfassende Politik anwendet. Sie beruht auf drei Aspekten: Repräsentation, Finanzmittel und Verteidigung der Rechte, vor allem in Bezug auf Reproduktion und Sexualität. Kanada wiederum setzt seinen Schwerpunkt sowohl auf Parität als auf internationale Hilfe und hat in den letzten Jahren viel Geld für die Förderung der Gleichberechtigung investiert, während Mexiko eine sehr umfassende Strategie, unter anderem einen intersektionellen Ansatz mit der Verteidigung von Minderheiten und der LGBTQ+ Menschen, entworfen hat. Frankreich konzentriert sich vor allem auf eine bessere Repräsentation von Frauen in Schlüsselposten und die Aufstockung von Fördermitteln in der Entwicklungshilfe sowie bei der bilateralen Kooperation.
Keine einzige Definition
Daraus lässt sich folglich schwer eine einzige Definition von feministischer Außenpolitik schließen. Kernbestandteile gibt es trotzdem. "Eine feministische Außenpolitik erkennt die strukturellen Ungleichheiten zwischen Geschlechtern, aber auch zwischen anderen politisch marginalisierten Gruppen an, und arbeitet aktiv daran, diese zu überwinden. Es ist eine Politik, die sich auf das Individuum fokussiert, um den einzelnen Menschen Sicherheit zu gewährleisten", erklärt Nina Bernarding, Ko-Geschäftsführerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP). Diese einmalige NGO, 2016 in London gegründet, deren Sitz sich seit 2018 in Berlin befindet, arbeitet daran, das Konzept in diplomatischen Kreisen sowie bei Experten für Sicherheits- und Außenpolitik bekannter zu machen.
Besonders in Deutschland, das bis Ende des Jahres die europäische Ratspräsidentschaft innehat, gibt es diesbezüglich noch viel zu tun. Vergebens sucht man beispielsweise nach einem Handbuch oder nach Experten zum Thema beim Auswärtigen Amt oder beim Kanzleramt. Und der Aspekt "Gender Equality" ist nur noch ein Nebenpunkt der Ratspräsidentschaft geworden. Immerhin gibt es hierzulande ernst zu nehmende Bemühungen, mehr Frauen auf wichtige Posten zu setzen und das Thema „Frauen, Frieden und Sicherheit“ bildet einen Schwerpunkt der deutschen, nicht ständigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat seit Januar 2019. Nun könnte Deutschland noch weiter gehen und das Undenkbare zur Realität machen.
25. Geburtstag der Pekinger Aktionsplattform
Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger sein. Denn dieses Jahr feiern wir den 25. Geburtstag der Pekinger Aktionsplattform, die nach der vierten UN-Weltfrauenkonferenz die Gleichberechtigung zur globalen Priorität erklärte. Sowie den 20. Geburtstag der UN-Resolution 1325 "Frauen, Frieden und Sicherheit“: Darin werden Konfliktparteien dazu aufgerufen, die Rechte von Frauen zu schützen und Frauen gleichberechtigt in Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtung und den Wiederaufbau miteinzubeziehen. Blicken wir etwa auf die aktuelle Corona-Pandemie, so herrscht Einigkeit darüber, dass diese die Existenz struktureller Ungleichheiten noch einmal deutlich gemacht hat. Häusliche Gewalt ist weltweit in die Höhe geschossen, Frauen haben sich mehrheitlich in der Zeit des Lockdowns um Kinder und Haushalt gekümmert sowie wirtschaftliche Einbußen hinnehmen müssen. Selbst der Zugang zu Verhütungsmittel sowie die Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, wurden in der Pandemie stark eingeschränkt. Aus diesem Grund hat auch UN-Generalsekretär Antonio Gutteres die Regierungen ermutigt, Frauen und Mädchen bei wirtschaftlichen Wiederaufbaupläne, ins Zentrum zu stellen. Nur ein Land auf der Welt hat infolge von Covid-19 ausdrücklich einen feministischen Wiederaufbauplan mit einem intersektionellen Ansatz verabschiedet: das kleine Hawaii.
Pinkwashing
Weitere Hauptmerkmale einer feministischen Außenpolitik sollten laut des CFFP die kompromisslose Verteidigung von reproduktiven Rechten, das Recht auf Abtreibung sowie das Ende von Waffenexporten sein. Allein durch das letzte Kriterium würden schon einige Länder automatisch aus der Liste derjenigen herausfallen, die behaupten feministische Außenpolitik anzuwenden. Zum Beispiel exportieren das Musterland Schweden sowie Kanada weiterhin Waffen an undemokratische Länder wie Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, in denen es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt. Auch Frankreich hält weiterhin an seinen Atomwaffen fest.
Daher ist die Sorge um das sogenannte Pinkwashing in dieser Situation berechtigt. Seit der Ankündigung einer feministischen Diplomatie im Jahr 2019 ist in Frankreich in dieser Hinsicht wenig geschehen. Eine Debatte über Nuklearwaffen steht beispielsweise derzeit nicht auf der Tagesordnung und wird sicherlich dort auch nicht so schnell stehen. Die Pandemie und ihre Antworten darauf führten nicht nur zu einer kriegerischen Rhetorik – Präsident Emmanuel Macron sprach etwa letzten März im Hinblick auf Covid-19 von einem Krieg -, sondern wiederholt zu einer Politik, die die Bedürfnisse von Frauen und fragilen Bevölkerungsgruppen ignoriert. Laut eines im Juli veröffentlichen Berichts des CFFP haben nur zwei Länder, nämlich Schweden und teilweise auch Kanada, ihr Engagement für Frauen während der Pandemie unter Beweis gestellt und im Kampf für Gleichberechtigung zusätzliche Mittel zu Verfügung gestellt. Trotzdem sind die politischen Bemühungen in Richtung feministischer Außenpolitik insgesamt nicht zu ignorieren. Dieser Kampf sei, so Nina Bernarding, "ein Marathon und kein Sprint" .
Konkrete Empfehlungen
Ob dabei der Ausdruck „feministische Außenpolitik“ tatsächlich die richtige Bezeichnung ist, weiß ich nicht. So erklärte etwa Lyric Thompson vom International Center Research on Women (ICRW) in einem Bericht von 2019, dass, wenn Regierungen das Adjektiv „feministisch“ verwenden, vor allem wenn sie nur Frauen und Mädchen meinen, sie Gefahr laufen würden, "den binären Ansatz zu verstärken und damit die Arbeit zu untergraben, die sich gegen die Vorstellung eines weißen, ethnozentrischen und cisgender Feminismus stellt". Umgekehrt könnten sich viele mit diesem Begriff ausgeschlossen fühlen, selbst wenn der Ansatz gerade Inklusion bedeuten soll. Neuseeland oder Island etwa folgen feministische Ansätze, ohne es explizit so zu formulieren. Der CFFP dagegen rechtfertigt diesen Begriff mit dem Hinweis, dass er auf eine Veränderung der Machtstrukturen zielt. Ich selbst vermisse jedenfalls konkrete Empfehlungen zu brisanten außenpolitischen Dossiers, wie etwa den Protesten in Weißrussland, zur Lage in Syrien oder zur Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexei Anatoljewitsch Nawalny. Ebenso fehlt eine klare Position zu möglichen militärischen Einsätzen, auch wenn es darum geht, die Zivilbevölkerung, darunter Frauen und Kinder zu schützen. "Wir sind viel zu schnell dabei, militärische Lösungen bei Konflikten zu suchen, wir müssen die Ursachen von gewalttätigen Konflikten berücksichtigen“, erklärt Nina Bernarding und erinnert daran, dass das Jahr 2019 den höchsten Anstieg in puncto Militärausgaben verzeichnete. Ungeachtet all dieser terminologischen Debatten und strategischen Unterschiede, verdient das Konzept „feministische Außenpolitik“ insgesamt mehr Popularität und Beachtung.
Cécile Calla